Hermann Hess über den Brand der Kleiderfabrik

Immer am ersten Sonntag im Monat findet in Amriswil der Museumssonntag statt. Im Ortsmuseum wird jeweils um 15 Uhr zu einer Erzählstunde geladen. Vergangenen Sonntag war Hermann Hess zu Gast, der mit dem Bericht über den Brand der Kleiderfabrik ESCO auch ein Teil seiner Familiengeschichte erzählte.

Bevor die Erzählstunde am vergangenen Museumssonntag im Ortsmuseum begann, wurde das langjährige Mitglied der Kommission Ortsmuseum, Walter Haas, verabschiedet. Das Team des Ortsmuseums dankt ihm für sein Engagement im Museum sowie seine Stadt- und Schlossführungen.

Zwei mal Erzählstunde an einem Tag

Der Besucheraufmarsch zum Vortrag von Hermann Hess war so gross, so dass er seinen Vortrag gleich zweimal vor vollbesetztem Haus halten musste. In seinem persönlich gehaltenen Bericht über den Brand der Kleiderfabrik ESCO vor 60 Jahren und der damaligen Situation der Textilindustrie kam er auf den berühmten Nagel, der die Katastrophe auslöste, zu sprechen. Neben den beiden Produktionstrakten wurden auch zwei Wohnhäuser zerstört. Glücklicherweise kamen keine Personen zu schaden und die Bürogebäude mit allen wirtschaftlichen Dossiers blieben intakt. Hess' Vater stand damals vor dem Entscheid, den Wiederaufbau anzupacken oder die Kleiderproduktion an den Nagel zu hängen. Dank der finanziell guten Lage und der ausreichenden Versicherung konnten alle Löhne weiterbezahlt werden. Die Auftragsbücher waren voll, der Absatz florierte und der Entscheid zum Wiederaufbau fiel rasch. So entstand bis 1967 die modernste Kleiderfabrik in der Schweiz.

Zu wenige Mitarbeiter und Wechselkurse

Das Problem in jenen Jahren war weniger der Verkauf der Kleider, sondern der ausgetrocknete Arbeitsmarkt. Es gab schlicht zu wenige Mitarbeiter. Nach dem unerwarteten Tod seines Vaters im Jahr 1970 übernahm Hermann Hess' Mutter die Führung der ESCO. Als 28-Jähriger trat er schliesslich in die Firma ein. Die existenzielle Herausforderung hatte bereits ab Mitte der 70er Jahre begonnen, weil die fixierten Wechselkurse nicht mehr zu halten waren. In kurzer Zeit sank die D-Mark gegenüber dem Schweizer Franken auf 80 Rappen. Die Produktion wurde zu teuer und Billiglohn-Länder übernahmen allmählich die Textilindustrie. Robert Sallmann handelte als erster und sehr konsequent. Eine neue Produktionslinie in Portugal bedeutete genügend Arbeitskräfte und konkurrenzfähige Produktionskosten.

Von Kleidern zu Immobilien

Nachdem etwa die Hälfte des Hess-Familienvermögens als Unterstützung in den Betrieb geflossen war, sah sich Hermann Hess 1991 gezwungen, die Kleiderproduktion aufzugeben. Der jahrelange, teure und letztlich vergebliche Versuch, die Rentabilität wiederherzustellen, hatte auch zu Spannungen zwischen den Aktionären geführt. Die anschliessende Fokussierung auf das Immobiliengeschäft verlief dagegen erfolgreich. Eine berufsbegleitende Ausbildung zum Immobilien-Ökonom in Wiesbaden zeigte Hess neue Wege auf, z. B. den Umbau der Fabrikationshallen in ein Einkaufszentrum (anfänglich «Shopping Kirchstrasse», später dann «Amriville»). Eine ähnliche Revitalisierung brachte er mit der leerstehenden Raichle-Schuhfabrik in Kreuzlingen zustande. Mit diesen neuen Konzepten konnte die Entstehung von Industriebrachen abgewendet werden. Amriswil hat Hermann Hess viel zu verdanken.

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